Aus dem Land in dem sich Bär und Wolf gute Nacht sagen. – Botanischer Reisebericht aus Siebenbürgen

Da ich aus nicht weiter zu erläuterden Gründen den letzten Flower Talk leider nicht abschließen und somit auch nicht veröffentlichen konnte, entschied ich mich einen kurzen Reisebericht mit Augenmerk auf die Pflanzenwelt Siebenbürgens zu verfassen, der ursprünglichen Heimat meiner Familie Väterlicherseits.

Schon beim Landeanflug auf den Flughafen Sibiu oder auch Herrmannstadt, welches der deutsche Name dieser schönen Stadt im Herzen von Transsylvanien ist, bemerkt man einige Besonderheiten der örtlichen Landschaft. Eine steppenähnliche durch Mager- und Feuchtwiesen geprägte Landschaft sind das Hauptaugenmerk. Zu den Hügeln und Bergen hin, finden sich dichte Mischwälder mit großem Laubbaumanteil. Auch nahezu Boreal wirkende Landschaften finden sich auf den Plateaus nahe den Wipfeln, oft bewachsen mit verschiedensten und seltenen Eiszeitrelikten. Alles in allem kommt einem die Flora sehr ähnlich der in Deutschland heimischen Alpenvegetation vor, allerdings mit deutlichen Unterschieden hinsichtlich der Menge und der Spezialisierung der Pflanzen, welche somit oft den Status einer eigenen Art einnehmen. Als Beispiel könnte man die Schwertlilien (Iris) nehmen, von welcher in Deutschland 4 und in Rumänien sage und schreibe 14 verschiedene Arten vorkommen.

Mein erster Stopp befand sich in einer von Freunden betriebene Pension bei Porumbacu de sus (Oberbornbach),  einem kleinen Dorf welches am Fuße der Fogarascher Gebirge gelegen ist. Dort, Richtung Wald (Streckenbezeichnungen sind schwierig in solcher Gegend) etablierte sich eine als „Touristische Zone“ bekannt gewordenes Kleinod mit Chalets und kleineren Ferienhäusern, von welchen man mit geländefähigen Fahrzeugen und guter Wanderausrüstung den Weg in Richtung des Marmorbergs Negoiu antritt.

Geprägt durch Quellbäche welche durch das Schmelzwasser der Berge entstehen, sowie vielen Niederschlägen in den Sommermonaten, sind die locker bis dicht bewachsenen Wege die Heimat vieler Hochstauden. Nicht selten trifft man den Großblütigen Fingerhut (Digitalis ambigua) und den echten Alant (Inula helenium) mit verschiedenen feuchtigkeitsliebenden Distelarten an den kalkreichen Felsen. Weiter bergauf häufen sich Plätze mit Fuchs’schem Knabenkraut (Dactylorhiza fuchsii) welche mit steigender Höhe auch an Individuen zunehmen. Nahe dem Gipfel trifft man bekannte Arten wie Bergwohlverlei (Arnika montana) und verschiedenste Enzianarten wie dem Clusius Enzian (Gentiana clusii). An Felsen selbst – man muss fast schon danach suchen – finden sich Karpatenglockenblumen (Campanula carpatica), welche uns aus gärtnerischer Kultur bekannt ist, und Soldanella hungarica ssp. major – welches die Heimische Soldanella alpina in diesen Breiten ersetzt.

Bei Kleinkerz (Cârțișoara) am Fuße des Bălea befindet sich das Revier meines Vaters und unser Ferienhaus, auf welchem ich einen Großteil der Zeit meiner Reise verbracht habe. Mit dem Quad und zu Fuß konnte ich verschiedenste Lebensräume, welche zum Teil sehr dicht beieinander gelegen sind, erkunden. In den prärieähnlichen Magerwiesen fanden sich zahlreiche, bei uns selten gewordene Pflanzen wie das Echte Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea) und Nelkenarten (Dianthus spec.). Wilder Lein (Linum nervosum) färbte die Grasflächen oft Blau – so wie es Mohn bei uns tut, der aber nicht anzutreffen war. Auch der Schwalbenwurz- und Kreuzenzian (Gentiana asclepiadea und cruciata) kamen weit verbreitet und oft in Grüppchen vor. An Wasserstellen wuchsen in dichten Beständen verschiedene Seggen und Simsen, ich habe im ganzen Areal aber keine Stelle mit echtem Schilf gefunden.

Besonders begeistert war ich von dem Fund einer Glockenblume die ich bis vor Kurzem nicht einordnen konnte. Sie kam mir von der Blüte ähnlich der heimischen Pfirsichblättrigen Glockenblume vor, allerdings wich der zarte wuchs und die nicht oft verzweigten Blüten deutlich von ihr ab. Nach Recherchen und Rücksprache mit Pflanzenkennern stellte sich heraus, dass es sich um eine Endemische und seltene Pflanze mit dem Namen Campanula romanica handelt. Sie können sich vorstellen dass ich schwer begeistert war, schließlich wurde die Pflanze für dieses Gebiet noch nicht beschrieben.

Um unser Haus wuchsen am Waldrand zahlreiche Waldhyazinthen (Platanthera bifolia und chlorantha) welche sich oft zwischen Brombeerpflanzen und Gebüsch fanden ließen. Farne gedeihen dank der humiden Umgebung in den verschiedensten Ausführungen und besiedeln mit zum Teil 1,70m großen Exemplaren in prähistorischer Anmutung die Schluchten der Buchenwälder. Selten gewordene Tierarten wie den Alpenbock (Rosalina alpina) konnte ich zum ersten mal in freier Wildbahn während dem fast zum Ritual gewordenen Pilze sammeln beobachten. Ich bekam sogar die Chance die in Massen vorkommenden Heidelbeeren mit einer seltsamen aber effizienten Apparatur zu sammeln, die einer offenen Box mit einem am Ende aufgeschraubtem Kamm gleicht. Ein Freund hat anschließend die Beeren gesäubert und einen traditionellen Likör angesetzt, der den klangvollen Namen „Afinatâ“ trägt.

Es war meine zweite Reise dieses Jahr in das Land an dem Freiheit und Weite noch sicht- und spürbar scheinen. Die offene Art der Menschen, die Schlichtheit des Lebens dort und natürlich auch das reichhaltige Essen – welches gerade aus diesem Grund oft mit einem oder mehreren  hausgebranntem Rachiu oder Palinca (Obstbränden) abgerundet wird – kann ich bestenfalls mit den Worten „erdend“ und „beruhigend“ bezeichnen. Es gibt sie noch, die Plätze an dem keiner war, kein Massentourismus herrscht und an dem Luxus nicht an Besitztümern gemessen wird. Ich habe für mich festgestellt, dass man auch eine Tugend wie Bescheidenheit trainieren muss, um nicht im Wahn einer Großstadt zu versinken. Ich Danke hiermit meinem Vater, welcher mir diese Reise ermöglichte und damit einen meiner Ursprünge näher gebracht hat. Pläne für meinen nächsten Besuch werden bereits geschmiedet, schließlich freue ich mich alles und jeden bald wieder zu sehen.

Euer Mario, von Flor&Decor

Abb. 1: Typische Steppen- und Magerrasenvegeation
Abb. 2: Bei uns selten geworden: Echtes Tausendgüldenkraut
Abb. 3: Grünliche Waldhyazinthe, eine Waldbewohnende Orchidee
Abb. 4: Fuchs’sches Knabenkraut besiedelt feuchte Standorte auf dem kalkreichen Marmorberg
Abb. 5: Campanula romanica – Mein persönliches Highlight der Reise
Abb. 6: Großblütiger Fingerhut in Waldlichtungen und Hochstaudenfluren
Abb. 7: Typischer Mischwald mit hohen Rot- und Hainbuchenanteil