Künstlerische Perspektiven

Ein Kaffeehaus ohne Künstler? Undenkbar. Schon die Protagonisten der Moderne waren im Cafe Luitpold anzutreffen, von Franz von Lenbach bis Wassily Kandinsky. Und heute? Stößt man auf Interventionen zeitgenössischer Künstler.

Wer sich ins Untergeschoss des Cafe Luitpold begibt, wird möglicherweise verstörende Begegnungen haben. Mit den beiden beleuchteten Vitrinen etwa, in denen Verpackungen für edle Pralinen des Hauses ausgestellt sind, zusammen mit blauen und weißen biegsamen Stangen, an denen zerlaufene Kunststofflappen hängen. Das Ganze ist so drapiert, dass es an die museale Inszenierung von Kunstwerken erinnert, samt Absperrung. Den Hintergrund bildet eine gepolsterte Lederwand, wie man sie in der gedämpften Atmosphäre eines Vorstandsbüros erwarten würde.

Der schmale Gang, in den die Vitrinen eingelassen sind, ist mit Bildern tapeziert. Zum Beispiel mit Originalgrafiken der Simplicissimus-Zeichner Thomas Theodor Heine oder Eduard Thöny, mit naiver Ölmalerei aus den Siebzigerjahren und mit Postkarten des historischen Palastcafés. Die Werke kommen aus der Sammlung, die Paul und Marika Buchner mit großer Leidenschaft jahrzehntelang zusammengetragen haben. Das Paar hatte das im Krieg zerstörte Cafe Luitpold in den 60er-Jahren erworben und wiederbelebt.

Komplettiert wird die Konzeptarbeit durch zwei minimalistisch abstrakte Kompositionen in leuchtenden Neonfarben. Sie stammen von Tilo Schulz, dem Künstler, der für die Gesamtinszenierung verantwortlich zeichnet: Den Gang zu den Waschräumen des Cafe Luitpold als künstlerische Installation. „Schleuse“ hat er sein Werk aus dem Jahr 2010 genannt, und die Bildertapete will er als „Petersburger Hängung“ verstanden wissen, hier im Miniaturformat präsentiert.

Tilo Schulz, der in Berlin lebt und arbeitet, ist einer der zeitgenössischen Künstler, denen das Cafe Luitpold regelmäßig ein Podium bietet – und sich dabei jederzeit offen kritischen Positionen stellt. Die treibende Kraft, die hinter der mutigen Fortführung der langen und bedeutenden Tradition des Luitpold als Ort des künstlerischen Austauschs steht, ist Karsten Schmitz, Vorstand der Kulturstiftung Federkiel, die seit dem Jahr 2000 zeitgenössische Kunst in Berlin, Leipzig und München und Kulturprojekte in ganz Deutschland fördert. Die Stiftung hat ihren Sitz im Luitpoldblock. Das Architekturbüro Demmel und Hadler entwickelte mit der künstlerischen Beratung von Tilo Schulz den Eingang zum Treppenhaus, das zu den Stiftungsbüros führt. Es wirkt wie gewöhnliche Architektur: türkisblau gestrichene Wände, in die kreisrunde Leuchten eingelassen sind – nur dass diese Leuchten recht unorthodox angeordnet sind. Sie folgen eher dem Muster eines Sternenhimmels als einer funktionalen Logik. Und in den Stiftungsräumen selber trifft man wieder auf die Lederpolsterung der Vitrinen in der „Schleuse“, diesmal als große, mit elektrischer Hilfe auf- und zugehende Polstertür, durch die man in den Projektraum gelangt.

Schon vor dem großen Umbau des Cafe Luitpold durch die Architekten Demmel und Hadler holte Karsten Schmitz immer wieder die Avantgarde in den Block. So wurde als Zwischennutzung für ein Ladenlokal im Erdgeschoss Anfang 2003 die temporäre „Luitpold Lounge“ eingerichtet. Drei Jahre lang fanden hier, kuratiert von der Kunsthistorikerin Elisabeth Hartung, künstlerische Aktionen quer durch alle Sparten statt. Mit Mode beschäftigten sich etwa die Arbeiten, die in der Ausstellung „Now and Forever“ zu sehen waren: In einer Installation von Michaela Melián drehte sich ein geschnürter Arbeitsstiefel zum Song „These boots are made for walking“, Documenta-Künstlerin Cosima von Bonin brachte das Material Filz und damit Joseph Beuys und die Kunstgeschichte ins Spiel, Wolfgang Stehle untersuchte Tapeten als Kleidungsstücke der Architektur. Und Yuka Oyama fertigte „Schmuck-Quickies“ für die Besucher an. 2004 – die Lounge ist inzwischen in den ersten Stock an der Brienner Straße umgezogen – installiert der Architekt Markus Link an der Hausfassade eine Flugzeug-Gangway aus dem Jahr 1960 als Eingangstreppe, eine spektakuläre Intervention im öffentlichen Raum.

Parallel zum zeitgeistigen Geschehen eröffneten die Familien Buchner und Schmitz 2004 ein kleines, aber feines kulturhistorisches Museum im Luitpoldblock, in dem die Geschichte des Cafés in Artefakten, Bild- und Tondokumenten präsentiert wird – und wo der Besucher durch ein Fenster den Konditoren bei der Arbeit zuschauen kann. Auch seit der Wiedereröffnung des Kaffeehauses im Jahr 2010 stehen jede Menge kulturelle Veranstaltungen auf dem Programm. Die kulturwissenschaftlerin Nan Mellinger lädt regelmäßig zum Salon Luitpold ein. Da philosophiert zum Beispiel die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken über Trachten und das „Dekolleté der Bavaria“, der Theaterkritiker C. Bernd Sucher macht sich Gedanken, ob Anstandsregeln überholt sind, Stadtplaner diskutieren darüber, welche neuen Architekturformen vorbildlich für München sein könnten und Julian Nida-Rümelin spricht mit Nathalie von Siemens über nachhaltige und menschengerechte Ökonomie. Parallel zur großen Schau im Lenbachhaus und zu seiner Performance-Reihe in der Pinakothek der Moderne präsentierte der bedeutende zeitgenössische Künstler Olaf Nicolai im Cafe Luitpold Aktionen zum Thema Marcel Duchamp, dem Begründer der Konzeptkunst, der 1912 drei Monate in München verbracht hatte. Aus Frust war dieser aus Paris geflohen, weil der „Salon des Indépendants“ seinen später weltberühmten „Akt, die Treppe hinabsteigend Nr. 2“ abgelehnt hatte. Der Aufenthalt war prägend für Duchamp. „In München erlebte ich meine totale Befreiung“, bekannte er später. Hier entstanden bereits Vorarbeiten zum „Großen Glas“, seinem Hauptwerk.

Anlass für das Luitpold, den Künstler hundert Jahre später zu feiern: Mit einem Akt, der die Treppe im Palmengarten hinab- und dann in ein Schokoladenbad hineinsteigt. Oder mit dem Simultan-Schachturnier Night of the Pawn aus Berlin als Verbeugung vor dem passionierten Schachspieler Duchamp.

Olaf Nicolai hatte bereits im Vorfeld der Neueröffnung grafische Arbeiten vorgestellt, die das Verpackungsdesign des Cafe Luitpold seriell variieren.

Neben Tilo Schulz’ Kunstwerken gibt es Objekte, die als festes Mobiliar in das Café oder andere Bereiche des Luitpoldblocks integriert sind. Wie die Leuchtobjekte der jungen Kasseler Designerin Hanna Krüger im Besprechungsraum. Und die 25 vielfältig durchbrochenen, floralen Kugellampen des Münchner Designers Jakob Hentze, die unter der Glaskuppel des Palmengartens schweben – hochartifizielle Varianten platonischer Körper. Besonders am Abend ein stimmungsvoller Anblick, in dem sich der Kaffeehausbesucher verlieren kann, um seinen Gedanken nachzuhängen. Und in den Räumen der Hausverwaltung sind Raffaele Celentanos Schwarz-Weiß-Fotografien zum Thema Schokolade zu sehen – der italienische Laif-Fotograf steht in der Tradition von Henri Cartier-Bresson.

Martin Wöhrls „Gloriole“, ist eine beeindruckend pointierte Formulierung. Eine Arbeit, die Gegensätze kombiniert: Die konstruktivistisch zusammengesetzten groben Spanholzreste, die sich farblich bis auf wenige Akzente zurückhalten, bilden in ihrer Schlichtheit, ihrem Purismus ausgerechnet einen Strahlenkranz, das Sinnbild barocker, göttlicher Überhöhung schlechthin. „Armes“, geerdetes künstlerisches Material kollidiert mit einer Urform prunkvoll inszenierter Spiritualität. Die schillernde Installation lässt das Ganze in Op Art-Manier in Bewegung geraten – kinetisches Kopfkino.

Benjamin Bergmann stellt in seiner Kunst gerne ironisch die Funktionalität alltäglicher Gegenstände in Frage. So hat er zum Beispiel am Leibnitz Rechenzentrum in der Barerstraße einen Basketballkorb angebracht, in 25 Metern Höhe, völlig unerreichbar für einen durchschnittlichen Spieler. Daher heißt die Arbeit auch „Never Ever“. Das Objekt ist augenscheinlich eine Auslenkung aus der Realität und somit ein Anstoß für den Betrachter, über die „Wirklichkeit“ nachzudenken. Die „Kronleuchter“ aus dem Jahr 2013 wurden eigens für das ehemalige Vestibül des Cafe Luitpold angefertigt. Hier blitzt die Ironie in der Machart auf. Wie grobe Laubsägearbeiten wirken die weißen Holzgestelle. Bestückt mit Glühbirnen in den unterschiedlichsten Formen und Farben ähneln die Leuchter ihren barocken Vorfahren aus Muranoglas. Sie akzentuieren die Architektur und verschmelzen zugleich mit ihr – und tauchen den Luitpoldblock in ein farbenfrohes Spiel aus Licht und Schatten.

Text: Jutta Göricke

Aus dem Magazin: Architektur und Kunst im Luitpoldblock